Geschäftsmodell schärfen „Ich habe mich befreit“
Für Hotelier und impulse-Blogger Jürgen Krenzer gehörte es zum Kerngeschäft, Gäste in seinem Restaurant zu bewirten. Nun hat er eine harte Entscheidung getroffen, um seinen Betrieb umzubauen.
Dienstag, 7. Juli 2020, 9.09 Uhr: Seit einigen Stunden bin ich im Urlaubsmodus. Gemeinsam mit meiner Frau und meinen beiden Töchtern bin ich, wie jedes Jahr, völlig unspektakulär in der Fränkischen Schweiz. Einfach runterkommen. Die letzten Wochen waren wahnsinnig intensiv. Ich muss Schlaf nachholen, deshalb gibt es auch keine weiteren Pläne. Außer Ruhe zu haben und Kraft zu sammeln. Und zu reflektieren.
Die Normalität ist weg
Normalerweise hätten wir jetzt zwei Wochen Betriebsferien. Normalerweise …
Das ist für mich das Wort des Jahres 2020. Denn bekanntlich ist 2020 vieles anders gekommen als geplant. Die Normalität ist weg. Und jeder wünscht sie sich wieder zurück.
Ich nicht!
Weitermachen, wie wir aufgehört haben – das wollen die meisten. Weil sie es auch nicht anders können. Ich finde: Wenn du etwas ändern kannst und willst, dann mach es einfach! Ich habe es getan.
Wir kochen ab jetzt nur noch für Hausgäste
Wir haben zum 1. Juli mit einem Geschäftsbereich abgeschlossen, mit dem mein Urgroßvater 1893 den Grundstein für unser Unternehmen gelegt hat. Der Betrieb einer Gastwirtschaft hat uns 127 Jahre lang erfolgreich gemacht. Doch ab jetzt kochen wir nur noch für die Hausgäste unseres Hotels. Klassische Gastronomie ist für mich nicht zukunftsfähig. Die Gründe sind vielschichtig, wie die gesamte Branche auch.
Und trotzdem verwerfen wir nicht einfach die Idee unserer Vorfahren. Ganz im Gegenteil: Wir besinnen uns auf unsere Wurzeln. Dazu muss man 127 Jahre zurückblicken. Das war eine harte Zeit in der Rhön, sind doch um die vorletzte Jahrhundertwende hier noch Menschen verhungert. So kam es übrigens zu dem wenig glanzvollen Titel „Das Land der armen Leute“.
Die Menschen, die hier ins Gebirge zogen, kämpften ums Überleben. So auch mein Uropa. Der Betrieb wurde zu jener Zeit vielseitig aufgestellt: Wirtshaus, Herberge für Rösser und Mannsleut, Metzgerei, Kaufladen, Schusterei und Landwirtschaft. Was gerade Geld einbrachte, wurde gemacht. Es reichte zum Leben und zum langsamen Ausbau des Betriebs.
Niemals im Leben mache ich Gastronomie – dachte ich
Erst im Jahre 1974 gingen meine Eltern in die Spezialisierung. Volle Konzentration auf den damals aufkommenden Fremdenverkehr. Sie ließen die landwirtschaftlichen Gebäude abreißen und sogenannte Fremdenzimmer bauen. Eine Ära ging zu Ende. Und auch der alte Traktor, ein Fendt-Dieselroß mit 20 Pferdestärken, wurde verkauft. Ich fand es als Neunjähriger sehr schade, bin ich doch mit Hühnern, Heu (trotz Allergie) und Schweinen aufgewachsen.
Was dann kam, waren Boom-Zeiten des Tourismus, verbunden mit Wachstum und Schuldenbergen. Die Investitionen in den Umbau des Betriebs waren hoch. Nach dem plötzlichen Tod meines Vaters musste meine Mutter alles alleine stemmen. Sie arbeitete Tag und Nacht. Seitdem sehe ich die Gastronomie sehr kritisch. Obwohl wir erfolgreich waren. Die Opfer, die man in dieser Branche erbringen muss, sind einfach zu hoch. Für mich stand als 14-Jähriger fest: Niemals im Leben mache ich Gastronomie! 41 Jahre später habe ich mich auf diesen Vorsatz besonnen. Manchmal braucht es eben länger.
Wo sind die guten Strategien in der Gastro-Branche?
Ich habe mir schon seit einigen Jahren Gedanken darüber gemacht, wie es weitergehen soll. Wenn du die Gastro-Branche und ihre Glücksritter beobachtest, wird dir schwindelig. Die Corona-Krise brachte es ans Tageslicht. Peinlich genug, dass die ganze Republik jetzt weiß, dass die meisten Gastronomen von der Hand in den Mund leben. Zwar einen fetten SUV fahren, aber keinerlei Rücklagen haben.
Ich habe mich so oft fremdgeschämt für das, was in der Gastro seit März passiert ist – und bis heute passiert. Ist es wirklich eine gute Strategie, dass ein Betrieb nur dann Ertrag abwirft, wenn die Auslastung bei knapp 90 Prozent liegt? Wenn die Mitarbeiter körperlich und mental für wenig Geld bis an die Grenzen gehen müssen? Jeden Tag. Und es dann immer wieder heißt: „Das ist bei uns eben so, wir sind doch in der Gastro!“
Die sind doch alle total bescheuert!
Wer jetzt weiter macht wie bisher, der hat echt nicht mehr alle Latten am Zaun.
Die Corona-Krise müsste eigentlich ein positiver Brandbeschleuniger sein. Für uns jedenfalls war diese Zeit ein Beschleuniger unserer Ideen und Visionen.
Wir bauen unseren Betrieb konsequent um
Wir haben uns schon seit einigen Jahren damit beschäftigt, wie wir das Unternehmen verändern wollen. Aber wir haben uns nicht wirklich getraut, diese Ideen in die Tat umzusetzen. Jetzt ist es soweit. Auf zu neuen Ufern.
Unser Sohn Max und seine Freundin Valentina haben den Einstieg in unser Unternehmen gewagt. Ausgerechnet jetzt! Die haben eben trotz Ausbildung in Gastronomie und Hotellerie keinen Bock mehr auf eine Branche, die sich immer wieder im Kreis dreht. Aber der die Kraft fehlt, sich von Grund auf neu zu erfinden. Sie haben unsere Landwirtschaft neu gegründet. Wir nutzen diese ambitionierten Zeiten, um krenzers rhön zu einem ganz besonderen Refugium umzubauen. Wohlfühl-Hotel, Apfelwein-Gut und Bio-Bauernhof.
Wir sind schon seit Anfang März einen ganz anderen Weg gegangen als der Rest unserer Branche. Ich habe mich nicht reflexartig wie die Kollegen in die Küche gestellt und für Billigpreise das Take-away-Geschäft bekocht.
Nach dem Lockdown waren unsere Hotelgäste sofort wieder da
Wir haben von Anfang an das gemacht, was in der Gastronomie und Hotellerie schon lange keiner mehr macht: Wir haben positiv mit unseren Gästen kommuniziert. Auf meine Posts auf der Facebookseite von krenzers rhön und die Newslettertexte meiner Frau werden wir immer wieder angesprochen. Dass wir trotz Krise optimistisch und zukunftsorientiert sind, machte Eindruck. Die Hotelgäste waren sofort wieder da. Wir sind mehr als zufrieden und sehr dankbar.
Es fühlt sich gut an, unabhängig zu sein
Eine jahrelang von Kollegen belächelte Strategie setzt sich jetzt durch: Wir sind unabhängig von Hotelbuchungsportalen. Der Weg dorthin war nicht einfach. Der Aufwand ist hoch, jeden Hotelgast selbst zu generieren. Doch gerade jetzt macht sich unsere Entscheidung bezahlt. Denn dann hast du den direkten Draht zum Gast. Emotionalität schlägt eindeutig die Anonymität, die durch zwischengeschaltete Dienstleister entsteht. Es hat auch etwas mit Würde zu tun, nicht überall von anderen abhängig zu sein. Es fühlt sich einfach besser an, klein und unbedeutend, aber unabhängig zu sein.
Wir brauchen eigentlich nicht viel, um glücklich und zufrieden zu sein. Und nehmen doch ständig die falschen Spezialitäten vom Büfett des Lebens. Dinge, die uns belasten. Und nicht befreien. Ich habe mich befreit.