Ich war wieder einmal in meinen Apfelweinkeller hinuntergestiegen, um Proben aus verschiedenen Weinen zu ziehen. Ein alter Engländer, der damals in unserem Hause zu Gast war, interessierte sich sehr stark für meine Arbeit und bat mich höflichst, doch mal einen Blick „hinter meine Apfelweinkulissen“ werfen zu dürfen. Kurzerhand nahm ich ihn mit, bot sich doch jetzt für mich wieder einmal die Gelegenheit, meine Englischkenntnisse aufzufrischen. Was er mir über Apfelwein so erzählte, erstaunte mich. Denn ich konnte es kaum glauben, dass es in Südengland regelrechte Apfelweinfabriken gibt und die Engländer das Volk mit dem höchsten Apfelweinverbrauch pro Kopf auf der Welt sind. Apfelwein, besser gesagt der „Cider“ ist dort ein Kultgetränk, in Deutschland muss es dies 1980 wohl erst noch noch werden.
Als besagter englischer Gast den Rhöner Apfelwein probiert, verzieht sich seine Miene. Er murmelt etwas von „dry“ und „sour“ für die Übersetzung weiterer Ausdrücke von ihm war mein englischer Wortschatz leider zu klein…
Aber er war sehr höflich und schluckte den frisch vergorenen Rhöner Stoff, wie ich das Zeug damals nannte, hinunter. Ich erklärte ihm daraufhin, dass man als Neuling schon zwei bis drei Schoppen braucht, um sich an den urtypischen Rhöner Apfelweingeschmack zu gewöhnen. Dann, so erklärte ich ihm weiter, lässt man aber davon nicht mehr los. Ob ich das damals wirklich geglaubt habe? Naja. Der Gast erwiderte, dass man bei ihm zuhause ganz andere Apfelweine produziere. Ich spitzte die Ohren und erfuhr, dass es süßere und auch alkoholreichere Apfelweine sind, die auf der Insel hergestellt werden. Aber auch spritzige Varianten mit viel Kohlensäure werden hergestellt und sogar in Dosen abgefüllt. Es gäbe ein schier unübersichtliches Angebot auf dem Markt. Mich interessierte jetzt besonders die alkoholreiche Variante des Apfelweines, die mein englischer Gast als „Strong Cider“ bezeichnete“. Er erzählte mir einige Einzelheiten darüber und ich schrieb es eifrig auf.
Eine Woche später mache ich mich an die Arbeit:
Zunächst muss ich ganz saure „Holzäpfel“ oder gerbstoffreiche Bohnäpfel organisieren. Aus diesen presse ich in mühevoller Kleinarbeit Saft und versetzte diesen mit einer genauestens auf die Säure des Apfelsaftes abgemessenen Zuckermenge. Dann muss eine spezielle Sherry-Hefe zugegeben werden. Anschließend stelle ich den Behälter im sehr warmen Gärkeller auf. Gespannt und ungeduldig warte ich auf die – normalerweise nach drei Tagen – einsetzende Gärung. Doch es passiert nichts. Gar nichts. Frustriert gehe ich jeden Tag wieder aus dem Keller wieder nach oben. Statt dem erhofften „englischen Apfelsherry“ kam aus dem 100-Liter-Faß süß-klebriger Apfelsaft mit ordentlicher Säure. Nach knapp einem Monat habe ich von den täglichen Enttäuschungen genug. Ich entferne das Fass aus dem Gärkeller und stelle es vorübergehend in eine nicht benötigte Ecke des Apfelweinlagers. Ich will später entscheiden, was mit dem für mich wertlosen Inhalt passieren sollte.
So geht ein ganzes Jahr vorüber und es ist wieder Herbst geworden. Da wir in diesem Herbst eine sehr gute Apfelernte haben, und meine Fässer nicht ausreichen, erinnere ich mich an das vor einem Jahr abgestellte Fass im hintersten Winkel des Apfelweinkellers. „Dieser komische Apfelsaft ist doch bestimmt hinüber“ murmele ich und ziehe das Fass nach vorne, um den Inhalt dieses Fasses über den Bodenauslauf zu entleeren. Als ich den Hahn öffne, kommt eine bernsteinfarbene, wohlriechende Flüssigkeit heraus. Whow! Die jetzt allerdings in das öffentliche Kanalsystem eingespeist wird. Die gerade entsorgte Mischung riecht sehr angenehm nach Alkohol und Äpfeln. Die Flüssigkeit scheint klar zu sein. Ich öffne den Deckel des Fasses. Ein tolles Buket begrüßt mich. Nochmal whow! Der vergorene Apfelsaft liegt auf der Hefe, kein Schimmel, keine unangenehmen Nebenerscheinungen kann ich entdecken.
Erst jetzt schließe ich – leider viel zu spät, wie ich später eingestehen musste – den Auslaufhahn. Mutig hole ich ein Glas und probiere einen Schluck des im letzten Jahr missratenen Getränks. Whow! Ich bin entzückt. Und sehr überrascht, mit diesem Geschmack habe ich nicht gerechnet. Die Flüssigkeit verbreitet zunächst in meiner Nase einen sherryähnlichen Ton, der diesem Produkt letztlich auch den Namen geben sollte. Auf der Zunge entwickelt sich ein feiner halbtrockener Apfelgeschmack, der vollmundig ein ausgeglichenes Verhältnis von Restzucker und Säure offenbart. Ein idealer Aperitif aus Äpfeln ist entstanden. Natürlich lasse ich großzügig auch unsere Gäste davon probieren. Ich will meinen positiven Eindruck einfach nur bestätigt wissen, was auch ziemlich einfach ist.
Eigentlich ist dieser „Rhöner Sherry“ wie wir dieses Produkt umgangssprachlich nennen, ein Apfeldessertwein, der mindestens 12 % vol. Alkohol haben muss. Diese Angabe steht auch auf dem Etikett, denn der Begriff „Sherry“ ist genauso geschützt wie andere berühmte Bezeichnungen, zum Beispiel „Champagner“. Mittlerweile ist der Rhöner ApfelSherry – den wir auf dem Etikett „krenzers apfel“ nennen ein Rhöner Kult-Produkt geworden…