„Work-Life-Balance? Was für ein Unsinn!“

Verfasst am 14.11.2019 von

Wer seine Leidenschaft zum Beruf macht, braucht keinen Balance-Akt zwischen Job und Freizeit, findet impulse-Blogger und Hotelier Jürgen Krenzer.

Ein harter Job, der wenig Freude macht – und so an die Substanz geht, dass teuer erkaufte Erholungsphasen im Wellness-Hotel nötig sind?

Dieses Konzept von einer Work-Life-Balance habe ich nie verstanden. Vielleicht auch, weil ich mir schon am Anfang meiner Karriere überlegt habe, wer ich eigentlich sein will. Als Unternehmer. Und als Mensch.

Es ist der 15. Dezember 1988. Als junger Koch und frisch gekürter Diplom-Hotelbetriebswirt kehre ich in meine Heimat – die Rhön – zurück. Um im zarten Alter von 23 Jahren den elterlichen Betrieb zu übernehmen. Ich laufe durch die schneelose Landschaft. Und ich mache mir Gedanken über meine Arbeit und mein Wirken in der Heimat.

Hier gibt es ja eigentlich nur 08/15-Gasthöfe und -Hotels. Unser Gasthof „Krone“ ist einer davon, einer von knapp 500. Ein Gasthof mit Jäger-, Zwiebel-, Zigeunerschnitzeln und Toast Hawaii auf der Speisekarte, behaglichen Fremdenzimmern und freundlichen Bedienungen.

In den Jahren zuvor hatte ich lernen müssen, dass man in der Gastronomie keinen Spaß hat. Besonders ich nicht.

Mein Vater starb, als ich Teenager war, und so musste ich schon mit 14 Jahren im Betrieb aushelfen. Freie Wochenenden? Fußballverein? Mitnichten! Und meine Mutter? Kämpfte bis an die Grenzen ihrer körperlichen Belastung. Und sie schaffte es tatsächlich, den Betrieb fast schuldenfrei an mich zu übergeben. Allerdings war ein recht großer Investitionsstau angefallen.

Was will ich eigentlich?

Als ich so durch die Rhön laufe, weiß ich nicht so recht, was ich mit dem Betrieb anfangen soll. Hier, am Ende der Welt, an den Grenzen zur DDR und zum Freistaat Bayern – wo kaum jemand freiwillig hinkommt. Naja, einige Gäste gibt es schon, die wegen der Zonengrenze in die Rhön fahren. „Grusel-Tourismus“ nenne ich es.

Ich frage mich: Was will ICH eigentlich? Und fange an zu träumen. Ich träume, dass Gastronomie Spaß macht! Ich träume davon, dass wir nette, tolle, begeisterte Gäste haben. Ich träume davon, dass wir die fähigsten und bestgelaunten Mitarbeiter der Rhön haben. Und ich träume davon, einfach nur das zu machen, auf das ich Lust habe. Lust, diese landschaftlich einmalige Region hier zu inszenieren. Mit allem, was sie hergibt. Auf dem Teller. Im Glas. Überall!

Ich wollte nie etwas tun, nur um Geld zu verdienen

Stopp! Das geht doch nicht! Man stelle sich mal vor, jeder Mensch auf dieser Welt oder in unserem Land würde das tun, was ihm Spaß macht. Wo kämen wir denn da hin? Diese Frage ist ja beliebt, um innovative Ideen, Konzepte und Projekte gleich im Keim zu ersticken. Aber: Wo kämen wir denn hin, wenn nicht irgendwann einmal einer hinginge, um nachzuschauen, wie es wäre, wenn man denn mal hingegangen wäre?

Ein großer Teil des Traumes bestand natürlich auch aus der Aussicht, mir als Wirt eine Existenz aufzubauen. Also gut, reden wir mal über Geld. Das war mir nicht wichtig, wohl wissend, dass man schon Geld verdienen muss. Aber mein Traum sah nur vor, dass die Einkünfte reichen würden. Reichen, um die Mitarbeiter ordentlich zu bezahlen. Reichen, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Reichen, um eine Familie zu gründen und gesund zu ernähren.

Hier in der Region braucht man viel Begeisterung, aber eigentlich gar nicht so viel Geld: Die Lebenshaltungskosten sind niedrig. Ich wollte also nie etwas tun, um vordergründig Geld zu verdienen. Aber ich wollte ein allseits glücklicher und zufriedener Mensch sein. Wer ist das schon noch?

Ich habe mir meine eigene Welt aufgebaut

Heute ist der 14. November 2019. Aus dem kleinen 08/15-Gasthof ist „krenzers rhön“ geworden. Eine ganz besondere Welt aus Äpfeln und (Rhön)Schafen. Meine Welt. Unsere Welt. Hier sprüht jeder vor Begeisterung für die Rhön. Eben keine normale Gastronomie. Und kein normales Hotel. Und keine normale Apfel-Kelterei.

Wer hätte das vor 31 Jahren gedacht?

Es ist kein einfacher Weg, den wir gehen. Weit weg vom Mainstream ein neues Unternehmen aufzubauen, das in den 90er Jahren schon mit Bio-Produkten und konsequenter regionaler Ausrichtung bei so manchem Gast für Kopfschütteln sorgte.

Schon seit dem Tod meines Vaters und den folgenden harten Zeiten für meine Mutter weiß ich, dass ich niemals der typische Gastronom werde würde. Aber die Verlockungen sind groß, den einfachen, den normalen Weg zu gehen. Oft auch den Weg des schnellen Geldes. So manches Mal gehe ich auch Umwege. Aber finde immer wieder den Weg zurück in die Spur.

Mit einem kleinen Ego ist das Leben leichter

Als ich zum Beispiel für meinen Apfel-Sherry verlockende Angebote von Gourmet-Großhändlern bekomme, werde ich fast schwach. Und führe endlose Diskussionen mit meiner Familie. Denn natürlich freut man sich, wenn man mit seinem Produkt bei Dallmayr, Käfer & Co. im Regal steht. Dabei verdrängt man, dass man ohne Ende Rabatte geben muss und eine Abhängigkeit zu einem großen Kunden entsteht. Aber man ist gelistet.

Wo andere eine Flasche Schampus aufmachen würden, sage ich ab. Und ich erinnere mich an folgenden Satz: „Je größer das Ego, umso schwerer das Leben!“ Also halte ich mein Ego klein (ich gebe ja zu, das ist nicht immer leicht) – und entscheide mich für ein „leichtes“ Leben als Mensch und Unternehmer.

Work-Life-Balance? Dieser Begriff ergibt für mich keinen Sinn

Wenn ich jetzt in der Fachliteratur blättere, dann komme ich an dem komischen Begriff Work-Life-Balance nicht vorbei. Leider! Denn es ergibt für mich keinen Sinn, hart zu arbeiten, wenig Freude dabei zu haben – aber viel Geld zu verdienen. Geld, das eigentlich Schmerzensgeld ist. Und mit dem dann das Hobby oder die wahren Neigungen finanziert werden. Nur weil man nicht den Mut hat, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen.

Soll heißen – und ich spreche hier für das Unternehmertum: Wenn ich etwas tue, was ich eigentlich nicht gern tue, nur um Geld zu verdienen, brauche ich natürlich auch viele Erholungspausen. Pausen, die ich oftmals nicht habe. Pausen, die dann später in edlen Wellness-Hotels oder Spezial-Kliniken teuer erkauft werden müssen.

Mache ich aber von Anfang an etwas, bei dem ich aufleben und meinen Traum verwirklichen kann, dann ist das nicht wirklich Arbeit. Es ist auch nicht wirklich Freizeit. Ich nenne es einfach Leben. Mein Leben. Ich habe nur eines.

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