Verwerten statt Bewerten
Heute morgen plobbt eine Meldung auf meinem Bildschirm auf: Sie haben eine neue Bewertung auf holidaycheck.de – Oh jeeehh…
Ich überlege noch kurz, ob ich sie überhaupt lesen soll. Dabei weiß ich doch gar nicht, ob sie gut oder schlecht ist. Egal. Eigentlich habe ich keine Lust darauf. Doch die Neugierde siegt. Wie immer.
Was ich lese klingt gar nicht so schlecht. Und der „Bewerter“ hat ziemlich viel geschrieben. Wenn man anders ist als alle anderen muß man aber damit leben das man deswegen nicht anders bewertet wird. Wenn der Gast, der bewusst einen Schäferwagen bucht selbst schreibt: „Wir mussten jedoch feststellen, dass wir wohl keine Camper sind, Dusche und Toilette außerhalb des Zimmers, muss nicht sein.“ Und dann wird das „Zimmer“ mit 3,7 von 6 möglichen Punkten abgewertet. Obwohl es kein Hotelzimmer – sondern ein Schäferwagen ist. Schon doof. Aber – das haben wir uns alles selbst eingebrockt. Wir „schaafen“ Angebote, die nicht einzuordnen sind. Wie zum Beispiel auch unsere große ApfelSherry-Verkostung im R.A.S.T. – dem Rhöner ApfelSherry-Theater. Das ist eben kein „Standard“. Und manche damit überfordert. Aber statt zu genießen wird bewertet. Was bringt das?
Bei mir knallt der Kopf auf den Tisch wenn ich folgendes lese (es war an einem Samstagabend im Mai, Höchstsaison. Wirtshaus und Garten rappelvoll): „Man hatte den Eindruck, als sei das Personal völlig überfordert, es waren sehr viele junge Bedienungen, z. T. auch Auszubildende im Einsatz.“ Da stellt sich mir schon die Frage, ob der Schreiberling die Auszubildenden lieber im Keller als im Service gehabt hätte. Dabei sind die määhr als nur tageslichttauglich. Und klar: Wir haben viele junge Leute. Allesamt gut drauf. Aber am Wochenende wird es manchmal eng. Es wird in Zukunft schwer werden genügend Menschen zu finden die dann arbeiten, wenn andere frei haben. Willkommen in der Freizeitgesellschaft! Jeder will geniessen – keiner arbeiten. Und alle dürfen bewerten. Auf Teufel komm raus. Was bringt das denn?
Wenn denn die Bewertungen wenigstens ein wenig humorvoll oder augenzwinkernd wären. Oder nett zu lesen. Aber statt dessen schreiben Leute einfach des Schreibens willen. Dokumentieren jede Kleinigkeit. Statt das Leben endlich zu genießen. Schliesslich kann dies jeden Tag zu Ende sein. Und was haben wir dann davon, wenn wir hunderte von Bewertungen geschrieben haben? Haben wir andere Menschen damit glücklicher gemacht? Nein! Alles landet als digitaler Müll im Nirvana des Internets. Määhr nicht!
Diesen köstlichen Kommentar, erst heute entdeckt möchte ich meinen Blök-Lesern nicht vorenthalten: „Etwas enttäuscht waren wir allerdings, dass der Chef des Hauses, der überall durch Sprüche, Bücher und andere Veröffentlichungen (auch in der Speisekarte) sehr präsent ist, während unseres Aufenthaltes fast unsichtbar war. Wir kennen es von anderen Hotels, dass eine Gruppe zumindest am ersten Abend vom Chef begrüßt und willkommen geheißen wird. Das war hier absolut nicht der Fall.“ Um eines mal klarzustellen: Ich grüße alle unsere Gäste. Und manchmal erkennen die mich als Chef gar nicht. Zum Beispiel beim Holz hacken oder Straße kehren. Interessant dabei ist, das man nicht von allen Gästen zurückgegrüsst wird, wenn man solch „einfache“ Tätigkeiten verrichtet.
Noch vor der Zeit von „Social Media“ fragte ich in meinen „KreativStrategie-Seminaren“ meine Teilnehmer: Sind sie Bewerter oder Verwerter? Geht es um Äusserlichkeiten oder um wirkliche Inhalte? Also um leckere Tagungspausen oder spannende Zukunfts-Strategien? Nur die Verwerter werden Erfolg haben. Die Bewerter werden weiter bewerten. Bis sie der Tod an einer Bewertung hindert. Aber wer weiss das schon. Ich habe da so eine rabenschwarze Vision:
In Zukunft dürfen wir sogar unsere eigene Beerdigung bewerten. War der Sarg/die Urne standesgemäß? Die Performance des Pfarrers gut? Die Trauergäste passend gekleidet? Wurden genug Tränen vergossen?
Also ich geniesse lieber mein Leben. Tun sie es auch. Es lohnt sich!