Sonderzug nach Wörgl

Verfasst am 26.04.2009 von

Ab heute habe ich eine feste Vision mehr:  Einmal im Jahr müssen alle leitenden Führungskräfte der Bahn auf ihre Bahntauglichkeit mittels eines knallharten Praxis-Fitness-Tests getestet werden! Und diese berüchtigte Prüfung sorgt dann auch für eine natürliche Auslese unter den Herren Vorständen. Schade, dass sich der Hartmut mittlerweile davongeschlichen hat. Denn den Strapazen beim Aus-, Ein- und Umsteigen mit zenterschwerem Gepäck, Kindern samt Kinderwagen innerhalb von 90 Sekunden ist nicht jeder gewachsen. Viele untrainierte Schlipsträger und Übersee-Rotweinsäufer kollabieren dann direkt am Bahnsteig. Warum ich diese Vision habe? Lesen Sie hier määhr…

Es ist Mittwoch, der 22. April 2009. Sylvi, Baby Maxine und unsere 4jährige Tochter Maxima und ich sind gemeinsam auf Seminar-Tour nach Österreich. Dabei sind auch der Baby-Jogger, das Baby-Bett (weil es so etwas in dem Design-Hotel in Zell am See nicht gibt), eine zentnerschwere Tasche mit Büchern, ApfelSherry und Seminarunterlagen, 2 voll bepackte IKEA-Rucksäcke und 1 Riesenkoffer mit Klamotten für die Kids und uns. Da Sylvi am Freitag Geburtstag hat, wollen wir diesen wieder einmal gemeinsam feiern. Denn an meinem Geburtstag war ich in Zittau unterwegs – und auch määhr als fern der Rhön. Also gönnen wir uns dieses Abenteuer, von dem wir allerdings noch nicht wissen, das es eines werden wird…

Zugfahren ist etwas wunderschönes – wenn das Umsteigen nicht wäre. Und ein Umstieg unserer vollbepackten Familie muss generalstabsmässig geplant sein. Besonders besch… ist es, wenn die Züge (wie meistens) unpünktlich ankommen. Dann steigt bekanntlich das Adrenalin beim Umsteigen. Es ist jetzt 14.45 und wir kommen planmässig in Wörgl/Tirol an. Bis jetzt ging alles gut. Aber dort haben wir nur 5 Minuten Zeit, um in den IC 649 „Alpenkonvention“ (der Name verspricht leider wie die Konvention määhr, als er halten kann) einzusteigen. Ich bin schon ein wenig nervös, zeige es aber nicht. Als wir draußen am Bahnsteig sind, kostet jede Orientierung Zeit. Wo ist die Treppe? Gibt es einen Lift? Welcher Bahnsteig? Als wir dann in der Unterführung sind, stellen wir fest, das von Wörgl bis Kirchberg/Tirol ein Schienenersatzverkehr eingerichtet ist. Das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen: S-c-h-i-e-n-e-n-e-r-s-a-t-z-v-e-r-k-e-h-r.    Hinter diesem Wort verbergen sich leider die schlimmsten Grausamkeiten der Bahn. In diesem Fall der ÖBB, dem Pendant der DB. Aber wo fahren jetzt die Busse (nichts anderes ist ja mit Schienenersatzverkehr gemeint)? Und was mit dem vielen Gepäck? Ich frage am Schalter nach und bekomme eine knappe, bestimmende Antwort: „Ja wo sollen die Busse denn wohl fahren? Der Schalterbeamte grinst mich an. O.k., er hat gewonnen. Denn ich habe keine Zeit für eine Verbalschlacht mit dem Beamten hinter Panzerglas. Hinter Gitter fände ich diesen Typen jetzt sympathischer. Doch es sollte ja noch viel aufregender werden.

Raus also aus der Bahnhofshalle. Dort stehen auch mindestens 3 Busse. Ich kapere den Mittleren. Das ist ein normaler österreichischer Postbus. Allerdings ohne Fahrer. Wohin mit dem Gepäck? Da nähert sich unmotiviert der Fahrer und schließt mir in Zeitlupe das Gepäckfach auf. Als wir dann den Babyjogger auseinandergebaut haben und der ebenfalls verstaut ist, nähert sich der Busfahrer-Kollege des ersten Busses. Er hat seine Hände tief in seine Taschen vergraben und erzählt dem Kollegen, das er in seinem Komfort-Reisebus genügend Platz für den aufgebauten Babyjogger samt Baby inside gehabt hätte. Zu spät. Die Fahrt geht los. Ich ärgere mich, denn Maxine könnte jetzt Schlaf gebrauchen. Und das geht am besten im Babyjogger. Sie ist total müde und die 45minütige Busfahrt durch tausend Tiroler Kurven tut ihr übriges. Der überfüllte Bus kommt mit Verspätung  in Kirchberg an, dort müssen wir wieder in den Zug. Und zwar schnellstmöglichst. Doch Kirchberg ist ein kleiner Bahnhof, ohne Fahrstühle oder Rampen. Der Zug fährt unlogischerweise von Gleis 3. Also rein ins Bahnhofsgebäude, die Treppe runter, die Unterführung lang und die Treppe wieder hoch. Rechts oder links rauf? Der Schaffner hinter uns sagt, das sei egal. Wir nehmen die rechte Treppe. Eine Fehlentscheidung, wie sich aber erst hinterher herausstellt! Ich muss die Treppen mit Babyjogger und Gepäck zweimal laufen, denn der Wagen muss von Sylvi und mir gemeinsam getragen werden. Und dieses blöde Babybett, was wir ja auch noch mitschleppen müssen! Unsere 4-jährige Maxima hält sich tapfer, aber dieser ganze Umsteigestress mach sie mürbe. Sie fängt an zu weinen. Kurz darauf fängt natürlich auch Maxine an zu kreischen. Als wir oben ankommen, sind alle Fahrgäste schon im Zug. Der Schaffner steht mit der Pfeife im Mund und 3 Wagen weiter vorne und schaut ungeduldig. Ich bugsiere das Baby samt Wagen in den viel zu engen Einstieg. Sylvi kann den Wagen dort nicht wenden und weiterschieben.  Es ist kein Platz für das Gepäck! Maxima zwängt sich noch gerade durch. Jetzt stehe ich noch mit dem Gepäck am Bahnsteig.

Der Schaffner trillert mit der Pfeife. Der Zug soll abfahren. Ich fasse es nicht. Ich schwöre mir in diesem Moment, das, wenn ich diesen Zug wirklich auch noch besteigen kann, dann wird dieser Schaffner den übelsten Beamtentag seiner Laufbahn erleben. Ich fluche und wuchte die Koffer in das Innere des Zuges. Der letzte fliegt in hohem Bogen hinein. Verdammt, da war der ApfelSherry drin! Sch…, das hatte ich in der Panik vergessen. Die Türe piepst, ich zwänge mich auch noch rein. Ich bin fix und fertig. Atme tief durch. Die Mitfahrenden im Zug glotzen mich teilweise blöd und teilweise mitleidig an. Letzteres ist aber eigentlich auch blöd. Doch ich bin stinkig. Richtig sauer und angefressen. Wenn ich jetzt, in dieser Situation nicht diesen stinkfaulen und arroganten Schaffner die Meinung sage, dann werde ich krank. Bekomme Krebs. Wie so viele, die alles in sich reinfressen.

Und das, liebe Leser, ist die positve Essenz dieser Geschichte. Lasst euch nicht alles bieten. Von niemandem. Wehrt Euch. Und zwar sofort! Ich habe noch nicht einmal mein Gepäck ordentlich verstaut, da entscheide ich für mich, mir erst mal diesen Schaffner vorzuköpfen. Ich rase vor Wut. Ich laufe nun also Richtung 1. Klasse, wo das Zugpersonal wahrscheinlich erst einmal einen Tee auf die verspätete Abfahrt trinkt. Da die Zwischentüren nicht so schnell aufgehen, wie ich das gerne hätte, muss ich nachhelfen. Mir tun jetzt noch die Hände weh. Aber ich bin sauer. Und will den Zugführer! Kurz danach stehen Sie vor mir: 3 Typen in dunkelblauen Bahner-Anzügen mit roter Krawatte. Ich sehe mit meiner alten Jeans und dem durchgeschwitzten weißen Shirt jetzt wohl eher nicht aus wie einer, der 1. Klasse reisen will und einen grünen Tee braucht. Ich bleibe vor dem Zugführer stehen und entlade meine Wut. Ich habe bisher immer alles geschluckt bei der Bahn. 20 Jahre lang. Aber jetzt ist Schluß. Ich mache die 3 ÖBB-Top-Talente darauf aufmerksam, das sie seit der abenteuerlichen Schienenersatzverkehrs-Busfahrt wissen, das hier eine Familie mit kleinen Kindern und viel Gepäck  unterwegs ist. Und das wir – hätten wir die linke Treppe genommen – superkomfortabel hätten einsteigen können. Aber da hätten uns diese drei Ignoranten ja helfen müssen. Und was ihm einfällt, einfach zu pfeifen, wenn ich noch samt Gepäck am Bahnsteig stehe.

Dann sagt doch diese Pfeife von Zugführer, das er nun mal pfeifen muss. Das wäre sein Job! Da ich meine Wut bereits verbal abgebaut habe, wird dieser Pfiff also nicht sein letzter gewesen sein.  Nach meinem Tobsuchtanfall lasse ich diese drei „Vorzeige-Bahner des Tages“ stehen. Es ist mir scheißegal, was die von mir halten. Und was die anderen im Zug von mir denken. Aber mir geht es besser. Und die drei Grüntee-Schlürfer von der 1. Klasse kriegen doch sowieso ihr Geld, egal wie lustlos sie arbeiten. Das ist ja der eigentliche Skandal! Doch es kommt noch besser: Der Zugführer kontrolliert jetzt die Fahrkarten der Reisenden. Das ist sowieso das Einzige, was der richtig gut kann. Doch jetzt beginnt für ihn der persönliche „Scheiß-Tag“ (der für mich übrigens jetzt vorbei ist). Wenn es mal keine Bahn määhr gibt, arbeiten solche Koryphäen wahrscheinlich als Gefängnisaufseher, das ist so sicher wie die Verspätung beim Zugfahren und die prall gefüllten Kotztüten im Schienenersatzverkehr.

Doch einige Reisende begehren jetzt auf. Motzen auch rum. Einige Ältere im Zug haben auch gerade so noch die rettende Einstiegstreppe erreicht. Jetzt dreht zur Abwechslung der Zugführer durch: „Ich lasse mich hier doch nicht von jedem zur Schnecke machen!“ Bitte??? Bin ich denn jeder? Und was ist mit den anderen, die von der Bahn nur noch belästigt, genötigt und gehetzt werden und dafür auch noch bezahlen müssen. Die Fahrt von Fulda nach Zell am See kostet pro Person immerhin 240 Euro. In Echtgeld wären das 480 DM gewesen!!! Heute ist der Tag der Abrechnung gekommen. Ein ganzer Zug gegen den Zugführer. Das gefällt mir. Ein geiler Tag!!! Also, hier noch einmal die gute Nachricht: Wehrt euch, begehrt auf. Sagt eure Meinung. Seit frech, aber immer ehrlich! Faulheit und Dummheit dürfen wir  nicht länger akzeptieren. Den Mund müssen wir aufmachen. Und nie määhr Opfer von schlechtem Service sein!

Zwei Tage später fahren wir nach Hause. In unserem Zimmer des wunderschönen Design-Hotels stand übrigens schon komplett aufgebaut ein …Babybett! Auf der Rückfahrt gibt es sogar Schaffner, die uns beim Ein- und Ausstieg helfen. Auch das muss gesagt werden. Selbst Mitreisende kümmern sich. Den zwei jungen Männern aus Südtirol ein herzliches Dankeschön! Ich denke schon: Alles wird gut! Doch kurz vor der Ankunft in München Hauptbahnhof (unser Zug hat wieder einmal 15 Minuten Verspätung) höre ich folgende Durchsage: „Der Eurocity nach Prag über Regensburg wartet noch abfahrbereit auf Gleis 26. Bitte beeilen sie sich. Machen sie keine Spaziergänge!“ Das glauben sie nicht? Ich schwöre bei meinen Mäxen, es ist wahr! Und die beiden Südtiroler Jungs können es bezeugen. Es ist doch unfassbar, oder?

Wollen Sie noch meine Interpretation der Durchsage hören? Bitte, hier ist sie. Und damit schließe ich diese überlange Blök-Geschichte: „Bewege gefälligst deinen Arsch, du blöder Bahnkunde. Sonst findet die Reise ohne dich statt!“ Ich werde meinen Arsch weiter jedenfalls weiter bewegen. In Richtung Bahn. Ich nehme den Kampf an. Und die Bahnbeamten werden ihn verlieren. Der Kunde ist noch kein König. Er will es gar nicht werden. Es reicht, wenn ich bei der Bahn als Mensch behandelt werde. Und zwar nicht manchmal, sondern immer. Blök!!!

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