Schlaflos in Stuttgart

Verfasst am 14.06.2009 von

Was passiert eigentlich Freitagmorgens von 2 bis 4 Uhr mitten in einer deutschen Großstadt? Ich 44 Jahre altes Rhöner Landei wollte es einmal genau wissen und habe deshalb einen Erlebnis-Tripp in die Spätzle- und Maultaschen-Metropole gebucht. Allerdings nicht ganz freiwillig. Aber ich hatte keine Wahl. Interessant war es trotzdem…

Alles fing mit einem Missverständnis an. Denn mit einem Freund wollte ich nach einer Apfelwein-Abendveranstaltung in Frankfurt per Auto nach München weiterfahren – und von dort am nächsten Morgen um 7.30 nach Bozen mit dem EuroCity weiterziehen. Dort habe ich am frühen Nachmittag eine Seminar für junge Existenzgründer des HGV – dass ist der Südtiroler Hoteliers- und Gastwirteverband.

Da mein Freund Dieter nun aber in den Rheingau weiterfährt – muss ich schon von Frankfurt aus den Zug nehmen. Schnell fahre ich noch am Hauptbahnhof vorbei und hole mir die Tickets. „Das ist aber eine ungemütliche Verbindung – mit 2 Stunden Aufenthalt zu nachtschlafender Zeit in Stuttgart“ sagt der mich bemitleidende Mann am Schalter 16. Ich frage ihn, ob er einen heißen Tipp hat, was man in Stuttgart zu dieser Uhrzeit unternehmen kann. Er grinst mich nur an…

Um Punkt 2.26 hält nun der Intercity am Hauptbahnhof. Und der Anschlusszug nach München fährt um 4.48 weiter. Ich habe mich entschieden. Entschlossen verstaue ich mein Gepäck im Schließfach. Kostet satt 4 Euro – in Echtgeld DM 8.-! Ich habe keine Lust, hier am Bahnhof in dem einzig offenen Cafe die Nacht zwischen schnarchenden und schweinegrippeverdächtigen Fluggästen zu verbringen. Wenn ich mir die alle so anschaue, muss ich grinsen: Urlaub per Flieger muss ganz schön stressig sein. Die sind zwar braungebrannt – aber fix und fertig. Gut so! Hoffentlich wird es noch stressiger. Die können doch auch in Deutschland Urlaub machen. Am besten bei mir in der Rhön.  Bei mir im Intercity waren gerade drei Pärchen, die allesamt Strandurlaub am Roten Meer machen. Jedes Jahr. Und beschweren sich dann auch noch, das es dort oftmals viel zu heiß sei. Die haben doch alle einen Sprung in der Schüssel!

Ich verlasse also das äußerst gut bewachte Bahnhofsgebäude an der Nordseite. Hier in Stuttgart kann man sich ja richtig sicher fühlen, denke ich so bei mir. Ich sollte mich täuschen…                                                Ich brauche frische Luft und will anderthalb Stunden zügig durch Stuttgart walken. Ein wenig kenne ich mich aus. Ich wähle die Route über die Flaniermeile „Königstraße“ Richtung Schloß. Nichts los auf dieser sagenumwobenen Gasse. Total tote Hose. In Höhe des Schloßes dann die ersten Opfer der Nacht: Betrunkene schlafen mitten in der Fußgängerzone – sie versuchen es zumindest. Werden aber von anderen, nicht minder alkoholisierten Leuten gestört. Ich laufe schnell vorbei, habe keine Lust auf eine Diskussion. Am Ende der Fußgängerzone ist es lebendiger. Hier sind scheinbar einige beliebte Clubs. Zwei Mädels verprügeln einen Typen auf offener Straße mit ihren Handtaschen. Der Typ war wohl ein wenig zu direkt auf der Suche nach einem sexuellen Abenteuer – wie ich hinterher im Zwiegespräch der Girlies mitbekomme. „Männer sind doch voll einfach gestrickt“ – so das Fazit der beiden. Um 3 Uhr morgens ein echt philosophischer Satz – der Rundgang hat sich schon gelohnt.

Was absolut stört ist in dieser Nacht ein plätscherndes Geräusch, was – wenn man dem Verursacher des Geräuschs zu nahe kommt – ziemlich eklig nach einer Cuvee aus Alkohol und Magensäure riecht. Es ist so unangenehm hier –  bevor ich selbst kotze, laufe ich zurück zum Hauptbahnhof. Dort ergattere ich mir zwischen den schnarchenden Air-Berlin-Billigfliegern einen großen Milchkaffee und setze mich auf eine saubere  Bank an Gleis 2. Dort wird in 45 Minuten mein Zug e n d l i c h weiterfahren. Die frische Luft hat doch gut getan. Die anderen großstädtischen Düfte habe ich mittlerweile verdrängt. Ich genieße meinen verdienten Kaffee. Plötzlich nähert sich meiner Bank eine Polizeistreife. Hier ist niemand weit und breit hier. Nur ich. Ich will gerade aufstehen und meinen Kaffeebecher wegwerfen…

Doch irgend etwas in mir sagt mir: „Krenzer, lass das lieber. So ein nervöser Jungpolizist wertet das als Fluchtversuch und knallt dich ab…“ Und tatsächlich: Die beiden sind ziemlich angespannt. „Personenkontrolle!“ ruft mir der Ältere zu. Ich zücke meinen Personalausweis. Der Ältere überprüft jetzt telefonisch, ob  schon ein Haftbefehl gegen mich vorliegt. Ich will gerade meine Hände in meine Manteltasche vergraben, als der junge Polizist ausrastet: „Hände aus den Taschen – sonst werde ich nervös!“ Und er ist jetzt schon ziemlich nervös. Ich übrigens auch. Was soll denn dieser inszenierte schwäbische Krimi?

Ich will jetzt nur noch eines: Lebend in meinen Anschlusszug einsteigen. Sonst nix. Zum Glück lässt man mich nach sich ewig anfühlenden 10 Minuten laufen. Ich brauche jetzt noch einen doppelten Milchkaffee. Und mein Gepäck muss ich auch noch holen. Wahrscheinlich wäre ich mit meinen ganzen Koffern gar nicht aufgefallen. Oder erst recht. Vermutlich hätten die beiden meinen ApfelSherry noch beschlagnahmt und nach Drogen untersucht…

Als ich mit Milchkaffee und Ge(b)päck wieder zum Bahnsteig trotte, ist der Zug bereits eingefahren. Auch meine beiden Polizisten sind noch da. Und meine beiden Helden führen einen gutaussehenden südländischen Typen mit Handschellen ab. Und sind dabei überhaupt nicht zimperlich. Mein Gott, fast hätte es mich erwischt. Ich muss unbedingt an meinem Erscheinungsbild arbeiten…

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