Kamikaze-Lieferant

Verfasst am 13.02.2010 von

In China heißt es: „Wer nicht lachen kann, sollte kein Geschäft aufmachen!“. Diese Weisheit wird bei uns in Deutschland völlig ignoriert. Daran habe ich mich nach 44 Jahren auch schon gewöhnt. Was aber passieren kann, wenn man als Auslieferungsfahrer Menschen und Arbeit gleichermaßen nicht leiden kann, davon handelt die folgende Geschichte…

Mittwoch, 10. Februar 2010. Seit 4 Tagen hat es nicht määhr geschneit. Ein wenig Erholung vom Schneechaos (bei meiner Oma Anna hieß das früher Rhönwinter) ist angesagt. Und jetzt, um 7Uhr fängt es plötzlich an, ein wenig an zu schneien. Die festgefrorenen Schneemassen werden also noch angenehm überzuckert. Eigentlich schön. Für Romantiker. Aber da heute ja (noch) nicht Valentinstag ist, gibt es von der Sorte Romantiker zu wenig. Und der Auslieferungsfahrer unseres Flaschen-Lieferanten gehört schon gar nicht dazu. Aber mal der Reihe nach…

Saria, meine Azubine im 2. Jahr hat mir heute im „School-Girl-Outfit“ ihr Zeugnis präsentiert. Und die süßen Zöpfe stehen ihr wirklich gut. Sie hat heute ihren Bürotag. Dieser wird abrupt unterbrochen, als sie die Meldung des Tages bekommt: Der Auslieferungsfahrer unseres Glaslieferanten steht mit seinem Riesen-Lkw vor unserer Kelterei und braucht Hilfe. Saria will helfen und kassiert – ungeachtet ihrer wirklich süßen Zöpfchenfrisur – erst einmal einen deftigen Anschiss. „Wenn nicht sofort ein Mann mir hier beim Abladen hilft, fahre ich wieder heim!“ brüllt der Fahrer sie an. Saria ist ein Rhöner Mädel und kann daher auch schon einiges ab. Aber solch schlechtgelaunte Typen gibt es noch nicht einmal in der Rhön! Sie ruft mich an und ein paar Minuten später stehe ich mit dem Fahrer auf der Ladefläche seines LKW. Dieser Mensch hat es tatsächlich geschafft, die stark abschüssige Einfahrt zu unserem Lagerkeller vorwärts anzusteuern. Die wenigen Zentimeter Schnee auf dem Pflaster hätten wir lieber vorher wegkehren sollen, denke ich mir. Denn die sollten dem Fahrer dann noch zum Verhängnis werden. Die anderthalb Tonnen schwere Palette unserer ApfelSherry-Flaschen muss jetzt im LKW bergauf(!) gezogen werden. Es ist nicht zu fassen. Diesem Fahrer bin ich zwar noch nie persönlich begegnet, bin aber vorgewarnt. Von seinen Kollegen (übrigens allesamt supernett, hilfsbereit und kompetent) als auch von meiner Frau, die schon schlechte Erfahrungen mit diesem Mann gemacht haben muss. So. Und jetzt steht er vor mir. Und spricht: „Meester, wir ham hier ä Problem!“ (er ist Franke, genaugenommen Unterfranke) „Euer scheiss Schnee un überhaupt. Müsst ihr so schwere Flasche bestell? So a Scheiss!“. Ich antwortekurz und schnittig: „Wir brauchen keine Probleme, sondern Lösungen. Also???“

Jetzt ziehen wir zu zweit die sauschwere Palette nach vorne. Auf dem glitschigen Boden rutschen wir mehrmals aus. Ein Desaster. Aber nach einigen Minuten schaffen wir es. Für die nächsten (wesentlich leichteren) Paletten hole ich mit meinem Koch Marc Verstärkung hinzu. Wie paradox! Egal. Wir schaffen es, alles abzuladen und alles wird gut. Denkste! Denn als ich schon wieder auf dem Weg ins Rhönschaf-Hotel bin, manövriert dieser gelernte Schönwetter-Fahrer aus dem sonnigen Würzburg seinen 20-Tonner von der Einfahrt weg in meine geliebte Streuobstwiese. Dabei hat er mindestens einen Quittenbaum und einen stattlichen Holunderstrauch „rasiert“. Letzteres wird ihm der liebe Gott so schnell wohl nicht verzeihen. Denn früher hat „Mann“ seinen Hut gezogen, wenn er an einem Holunderstrauch vorbeigekommen ist. Und dieser Typ nietet diesen Busch einfach um! Kurzum: Nichts geht määhr und ich darf ihm jetzt zum zweiten Mal aus der Patsche helfen. Aber immerhin merkt er jetzt selbst, was er für ein „Scheiss-Typ “ war und wird freundlicher. Allerdings hätte ich jetzt große Lust unfreundlich zu werden und fange an, diese Art von Auslieferungsfahrer zu hassen…

Außerdem habe ich in 10 Minuten wichtige Termine mit der Klassenlehrerin von Max. Es geht ja „nur“ um die Frage, mit welcher Schulform es nach der Grundschule weitergeht. Doch der LKW muss jetzt geborgen werden. Und bevor das für meine geliebte Glas-Firma richtig ins Geld geht, laufe ich trotz Zeitnot zu meinem Nachbarn Manni. Der Manni ist Landwirt und hat einen großen Traktor. Vielleicht schafft er es, den verunglückten LKW aus der Obstwiese zu ziehen. Und: Manni schafft es. Aber vorher hat mein havarierender Freund eine selbstgedrehte rauchend noch seinen LKW über die Büsche des Nachbarn gesteuert. Au weia!
Pflanzen, Büsche, Bordsteine – alles im Arsch. Dem ist das relativ egal. Ohne sich für die Hilfe zu bedanken zischt er ab. Manni und ich gucken uns an und sagen nix. Wozu auch. Noch am Abend übereiche ich meinem hilfsbereiten Nachbarn als Dankeschön ein ApfelSherry-Geschenk.

Mein Fazit: Wer als Firma solche Leute beschäftigen kann, dem muss es noch richtig gut gehen. Ob es solch einer Firma dann wirklich auf Dauer gut geht?
Diese Geschichte soll und wird nicht mit etwas Negativem enden: Denn es gibt auch andere Auslieferungsfahrer. Seit fast 20 Jahren fährt ein jugendlich wirkender Süditaliener mit mittlerweile erwachsenen Kindern (soviel wissen wir immerhin) Öle, Fette und Gewürze zu uns. Und ist immer gut drauf. Das macht nicht nur mir richtig Spaß, diesen herzlichen Menschen zu begrüßen. Einfach klasse! Danke an alle Fahrer, die einen tollen Job machen. Meinem Süditaliener werde ich beim nächsten Mal eine Flasche ApfelSherry überreichen. Die hat er nämlich genauso verdient wie mein Nachbar…

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