Das Märchen von der „Work-Life-Balance“

Verfasst am 06.01.2014 von

Ein harter Job, mit wenig Freude am Arbeitsalltag und teuer erkauften Erholungsphasen in Wellness-Hotels? Für impulse-Blogger Jürgen Krenzer macht das nachhaltig keinen Sinn. Unternehmer, die ihre Leidenschaft zum Beruf machen, brauchen keinen Balance-Akt zwischen Job und Freizeit, schreibt der Gastronom.

Es ist der 15. Dezember 1988.

Als junger Koch und frisch diplomierter Hotelbetriebswirt kehre ich in meine Heimat – die Rhön – zurück, um im zarten Alter von 23 Jahren den elterlichen Betrieb zu übernehmen. Ich laufe durch die winterlich-schneelose Rhön. Und ich mache mir Gedanken über meine Arbeit und mein Wirken in meiner Heimat. Hier gibt es ja eigentlich nur 08/15-Gasthöfe und -Hotels. Und unser Gasthof „Krone“ ist auch nur einer davon. Einer von knapp 500. Ein Gasthof mit Jäger-, Zwiebel, Zigeunerschnitzel und Toast „Hawaii“ auf der Speisekarte, behaglichen Fremdenzimmern und freundlichen Bedienungen.

In den vergangenen Jahren musste ich lernen, dass man in der Gastronomie keinen Spaß hat. Besonders ich nicht. Mein Vater starb, als ich Teenager war und so musste ich schon mit 14 Jahren im Betrieb aushelfen. Freie Wochenenden? Fußballverein? Mitnichten! Meine Mutter hat in den vergangenen Jahren bis an die Grenzen ihrer körperlichen Konstitution gekämpft. Und sie hat es tatsächlich geschafft, den Betrieb fast schuldenfrei zu übergeben. Allerdings ist ein recht großer Investitionsstau angefallen.

Als ich jetzt so durch die Rhön laufe, weiß ich nicht so recht, was ich mit dem Betrieb anfangen soll. Hier am Ende der Welt an den Grenzen zur Zonengrenze und zum Freistaat Bayern. Hier, wo niemand hin kommt. Freiwillig nicht. Naja, es gab schon Gäste, die wegen der Zonengrenze in die Rhön gefahren sind. „Grusel-Touristen“ habe ich sie genannt. Was will ICH eigentlich? Ich fange an zu träumen. Ich träume, dass Gastronomie Spaß macht! Ich träume davon, dass wir nette, tolle, begeisterte Gäste haben. Ich träume davon, dass wir die fähigsten und bestgelauntesten Mitarbeiter der Rhön haben. Und ich träume davon, einfach nur das zu machen, auf das ich Lust habe. Lust, diese landschaftlich einmalige Region hier zu inszenieren. Mit allem was sie hergibt. Auf dem Teller. Im Glas. Überall!

Aber nein! Das geht doch nicht! Man stelle sich mal vor, jeder Mensch auf dieser Welt oder in unserem Land würde das tun, was ihm Spaß macht. Wo kommen wir denn da hin? Übrigens: „Wo kommen wir denn da hin?“ ist ja ein ganz beliebter Satz, um innovative wie andere Ideen, Konzepte und Projekte gleich im Keim zu ersticken. Aber: Wo kämen wir denn hin, wenn nicht irgendwann einmal einer hinginge, um nachzuschauen, wie es wäre, wenn man denn mal hingegangen wäre?

Ach ja, ein großer Teil des Traumes bestand natürlich auch aus den Existenzchancen als Wirt. Also, reden wir mal über Geld. Das war mir nicht wichtig, wohl wissend, dass man schon Geld verdienen muss. Reich in der Gastronomie? Aber in dem Traum war es so, dass es schon reichen wird. Reichen wird, um die Mitarbeiter ordentlich zu bezahlen. Reichen wird, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Reichen wird, um eine Familie zu gründen und zu ernähren. Und hier in dieser schönen Region braucht man viel Begeisterung, aber eigentlich gar nicht so viel Geld. Die Lebenshaltungskosten sind niedrig. Ich wollte also nie etwas tun, um vordergründig Geld zu verdienen. Aber ich wollte ein allseits glücklicher und zufriedener Mensch sein. Wer ist das schon noch?

Heute ist der 3. Januar 2014. Aus dem kleinen 08/15-Gasthof ist „krenzers rhön“ geworden. Eine Welt aus Äpfeln und Schafen. Meine Welt. Unsere Welt. Hier sprüht jeder vor Begeisterung für die Rhön. Wer hätte das vor 25 Jahren gedacht?

Wenn ich jetzt in der Fachliteratur blättere, dann komme ich an dem komischen Begriff „Work-Life-Balance“ nicht vorbei. Leider! Und immer wieder. Balance! Da fällt mir gerade noch das Wort „Balance-Akt“ ein. Nicht gerade positiv besetzt. Denn es macht nachhaltig keinen Sinn, hart zu arbeiten, wenig Freude dabei zu haben, aber endlich Geld zu verdienen. Geld, mit dem jetzt das Hobby oder die wahren Neigungen finanziert werden. Schmerzensgeld eigentlich. Nur weil man nicht den Mut hat, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Soll heißen – und ich spreche hier für das Unternehmertum – wenn ich etwas tue, was ich eigentlich nicht gerne tue, nur um Geld zu verdienen, brauche ich natürlich auch viele Erholungspausen. Pausen, die ich oftmals nicht habe. Oder später in teuren Wellness-Hotels oder Spezial-Kliniken teuer erkaufen muss.

Mache ich aber von Anfang an etwas, bei dem ich aufleben und meinen Traum verwirklichen kann, dann ist das nicht wirklich Arbeit. Es ist auch nicht wirklich Freizeit. Ich nenne es einfach Leben. Mein Leben.

Lebe Deinen Traum – dann brauchst du auch diese märchenhafte Work-Life-Balance nicht…

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