Vogel fliegt – Mensch läuft

Verfasst am 01.08.2010 von

„Sag mal, bist du etwa nicht ausgelastet? Du müsstest mal meine Arbeit machen!“ Die Worte des Rhönbauern klingen mir heute noch im Ohr – als sei es gestern gewesen: Es ist Freitag, der 23. Juni 1985, 22.15 Uhr. Gerade habe ich meine verschwitzte Kochjacke gegen ein Laufshirt getauscht und nutze das restliche Tageslicht für einen 30minütigen Abendlauf. Und der tut so gut! Erst recht, wenn du den ganzen Tag in der Küche arbeitest, dann ist diese Art Bewegung in frischer Luft eine ökologische Batterieaufladestation. Der Landwirt übrigens, der mich vor 25 Jahre so blöd anmachte, lebt schon lange nicht mehr. Ob es am mangelnden Ausgleich lag?

Als ich hier in meinem Rhöndorf Seiferts unterhalb der Wasserkuppe – direkt am Dreiländereck Hessen-Bayern-Thüringen gelegen – als praktizierender Gastwirt mit dem Laufen begann, war ich (nicht nur für den Bauern) ein Exot. Als ich vor 25 Jahren damit anfing, ausschliesslich regionale Produkte für unsere Speise- und Getränkekarte zu verwenden war ich wiederum ein Exot. Für viele Kollegen auch ein Idiot. Denn was gab es schon in der Rhön, die von vielen immer nur als kalt, karg und katholisch diffamiert wurde. Es gab einige (Rhön)Schafe und reichlich (Rhön)Äpfel. Und beide – sowohl Schafe als auch Äpfel – lagen in einem langen Dornröschenschlaf. Warteten nur darauf, von mir wachgeküsst zu werden. Es war der Beginn einer großen Leidenschaft. Kochen und Keltern, um dieses einmalige Landschaft zu erhalten. Eine Landschaft, die zum Laufen und Wandern wie geschaffen ist. Das war das Motto! Naturschutz durch Genuß die Leitlinie.

Wer läuft, versucht sich meistens auch gesund zu ernähren. Aber was heißt gesund? Gut für meinen Körper, also für mich? Oder auch gut für Andere? Sind für mich die Inhaltsstoffe wichtig? Oder will ich auch wissen, wo die Nahrung herkommt und wie sie erzeugt wird? Kenne ich wirklich alle Konsequenzen meines Ernährungsverhaltens? Bei unserem Rhönschaf-Lauf – den Lauf zu den Rhöngenüssen – verbinden wir dreierlei: Bewegung, Geist und Genuss. Laufend erleben wir eine Landschaft, die ohne die Landwirtschaft nie diese Einmaligkeit erlangt hätte. Das Land der offenen Fernen wird von Schafen und Kühen baumfrei gehalten. Wir erfreuen uns laufend an dieser Schönheit, von der wir doppelt geniessen: Knusprige Apfelchips, edle Lammsalami, leckere geräucherte Bachforellenfilets, Bio-Apfelsaft von alten Apfelsorten, ein Apfelbier kurz vor dem Ziel und ein ApfelSherry nach einem gelungenen Lauftag. Ich habe den Rhönschaf-Lauf geschaffen, um vielen Laufkollegen das Tempo zu nehmen. Und um ihnen zeigen zu können, wie wichtig es ist, auf eine regionale Kreislaufwirtschaft zu setzen. So gibt es keine Zeitnahme – stattdessen ein Treffen mit Rhönschäfer Dietmar Weckbach und seiner Schafherde.- Und wir immer mittendrin. Laufen kann so einfach sein – und so schön. Und so effizient!

Für viele ist Laufen Herausforderung, Religion oder gar eine Sucht. Auch nach 25 Jahren, 5 Marathons und unzähligen Halbmarathons ist Laufen für mich einfach nur Ent-Schleunigung. Ich muss wieder runter kommen. Laufen hat ja auch viel mit Bodenhaftung zu tun.
Als mein Sohn Max 6 Jahre jung war fragte er mich, warum ich laufe. Ich antwortete mit den berühmten Worten des legendären Emil Zatopek: „Vogel fliegt, Mensch läuft!“
Wenn ich in der sommerlichen Abenddämmerung auf der Hochrhön laufend noch eine Runde drehe, die vom Abendlicht eingefärbten Rhönberge mich schützend umgeben und mein Blick ins Tal zur Rhönschafherde schweift – dann denke ich oft: Alles meins! Obwohl mir nichts davon gehört. Laufen kann dich so reich machen…

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