Unternehmensvision in Krisenzeiten „Jetzt kann ich alles machen“
Keine Gäste, die Mitarbeiter in Kurzarbeit: Ein Albtraum – aber für Hotelier und impulse-Blogger Jürgen Krenzer die perfekte Zeit, um eine neue Vision für sein Unternehmen zu entwickeln.
Es gibt einen schönen Satz: „Der einzige Mensch, der sich Veränderung wünscht, ist ein Baby mit vollgekackter Windeln“ Mit Veränderungen tun wir uns unglaublich schwer. Aber genau jetzt ist die Zeit dafür.
Es gibt viele Gastronomen, die gerade trauern. Oder jammern. Die Krise trifft uns hart. Aber wir haben jetzt auch die Chance, uns zu verändern. Die Zeit war nie so gut wie jetzt, um am Unternehmen zu arbeiten. Dort werden wir ja gerade nicht gebraucht!
Ich wollte schon lange etwas ändern, habe es aber nicht getan
Als im März der Lockdown kam, war mir schnell klar, dass ich etwas tun muss. Geschäftsreisende durften zwar noch in Hotels übernachten – aber die gibt es bei uns gar nicht. Das Restaurant geschlossen, meine Mitarbeiter in Kurzarbeit: Da wachst du morgens auf und weißt noch nicht mal, welcher Tag ist. Du bist im Urlaubsmodus, aber es ist kein Urlaub, es ist ernst.
Mir ist in dieser Zeit bewusst geworden, dass ich mich schon lange nicht mehr wohl fühle und etwas ändern will. Alles geht so schnell, die Leute werden immer fordernder, wollen immer mehr, immer billiger. Das ging mir schon lange gewaltig gegen den Strich.
Trotzdem habe ich nichts getan. Wie so viele habe ich Veränderungen immer nur dann angestoßen, wenn es Druck von außen gab. Wenn ich nicht genug Mitarbeiter gefunden habe, musste ich meine Öffnungszeiten ändern. Nicht, weil ich es selbst wollte – sondern weil es die Umstände erforderten.
Plötzlich habe ich das Gefühl, dass alles möglich ist
Dabei weiß ich genau: Du bist schlecht beraten, wenn du immer nur reagierst, statt selbst die Initiative zu ergreifen. Aber es ist schwierig, etwas zu verändern, wenn du einen Betrieb hast, der schon seit vielen Jahren nach einem bestimmten System läuft.
Doch dann kam Corona. Und auf einmal habe ich das Gefühl, dass ich jetzt alles machen könnte. Stellen Sie sich mal vor, ich würde von heute auf morgen beschließen: „Ich mache jetzt ein Hotel nur für Schwule und Lesben.“ Vor drei Monaten hätten bei so einer Idee viele mit dem Kopf geschüttelt. Heute würden die Leute wahrscheinlich sagen: „Super, der lässt sich was einfallen!“
Es ist schon verrückt. Jetzt ist die Zeit, in der wir machen können, was wir schon immer machen wollten. Das ist eine große Chance.
Ich habe eine neue Vision für mein Unternehmen
Wir haben das Glück, schon seit Jahren mit der Region verwurzelt zu sein und gute Kontakte zu Lieferanten zu haben. Nachhaltige Entwicklung – das war mein Thema, als ich in jungen Jahren in unser Familienunternehmen eingestiegen bin. Das bedeutet bis heute: Wir kaufen das Mehl bei unserem Müller um die Ecke, das Brot ist vom Bauernhofbäcker, das Lamm kommt vom Rhönschäfer nebenan. Das Bier machen wir selbst.
Jetzt gehen wir diesen Weg noch konsequenter weiter: Wir wollen völlig autark werden. 1974 wurde unsere Landwirtschaft abgeschafft. Früher war es ganz normal, dass zu einer Gastwirtschaft eine Landwirtschaft gehörte. Die Leute haben sich damals komplett selbst versorgt. Dahin wollen wir zurück. Wir haben jetzt eine Bio-Landwirtschaft, eine eigene Hühnerzucht, um die Frühstückseier für die Gäste selbst zu produzieren, wir bewirtschaften unseren Wald, wir pachten und kaufen neue Flächen. Unser Hotel soll für die Leute ein Refugium werden. Back to the roots, ohne Effekthascherei. Alles möglichst klein und regional.
Veränderungen machen immer Angst
Natürlich gibt es darüber viele Diskussionen mit meiner Familie. Auch das Team hat Angst bei solchen Veränderungen. Angst, dass die Umsätze einbrechen. Angst, dass Arbeitsplätze wegfallen, dass sich Arbeitszeiten ändern. Aber Angst ist kein guter Ratgeber.
Ich selbst bin im Moment sehr gelassen. Ich bin jetzt seit 32 Jahren Unternehmer und dabei habe ich nie vergessen, was meine Mutter mir beigebracht hat: Du musst dir immer Rücklagen schaffen. Du weißt nie, was kommt. Mach immer nur eine Investition nach der anderen. Oder, im Rhöner Platt ausgedrückt: „Du darfst die Fürze nicht größer lassen, als du das Arschloch hast.“ Weil ich auf meine Mutter gehört habe, haben wir noch keinen großen Engpass.
Ich fühle mich wieder wie 1988, als alles anfing
Was ich jetzt wichtig finde: mit meinen Leuten darüber zu reden, wie ich mir die Zukunft vorstelle. Die Rollen im Unternehmen zu überdenken, darüber zu sprechen, wer in Zukunft was übernehmen wird.
Ich nutze die Zeit aber auch, um neue Konzepte entwickeln. Ich bin jetzt zum Beispiel oft allein in der Küche. Dabei komme ich mir wieder vor wie 1988. Damals hatten wir kaum Gäste und ich fing an Produkte zu entwickeln. An diesem Punkt bin ich jetzt wieder.
Keiner weiß, was die Zukunft bringen wird. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sich die Leute, die zurück in die Gastronomie kommen, anders verhalten werden. Sie werden viel vorsichtiger sein, sie werden große Zusammenkünfte vermeiden. Vielleicht werden sie auch ein bisschen demütiger sein, mehr Trinkgeld geben und den Leuten, die am Wochenende arbeiten, dankbarer sein. Vielleicht haben aber auch einige festgestellt, dass es auch zu Hause nett ist. Und dass sie sich ihr Essen und die passenden Weine einfach im Internet bestellen können. Auf all das will ich vorbereitet sein.
Ich weiß, wo ich hinwill. Und das ist ein gutes Gefühl.