Nachlese Rhönflüsterer-Tour
„Wenn du mit der Herde gehst, läufst du nur den Ärschen hinterher!“ Mit diesem Zitat empfing mich mein Freund, Rhön-Indiander und Biobrotbäcker Christof Gensler zum Frühstück anlässlich unseres ersten von vier Wandertagen. Und diese Worte haben mich vier Tage lang intensiv beschäftigt…
Ja, und deshalb tun wir das ja auch. Jedes Jahr vier Tage Rhön intensiv. Vier Rhöner (Journalist Alex, Kelter-Kollege Harald, Schnaps-Destillen-Chef Conny und ich) machen Aktiv-Urlaub in ihrer eigenen Region. O.k., die erste Nacht habe ich in einem seiner mittlerweilen legendären Tipis verbracht. Das ist schon mal alles andere als Mainstream. Jetzt tut mir das Kreuz weh. Das liegt aber nur daran, das ich noch nie im Schlafsack auf Holzbrett schlafen konnte. Aber das Bio-Frühstück entschädigt mich dafür. Supergenial. Danke, lieber Häuptling „Backender Bär“! Bist eben anders als alle anderen!
Wenn du vier Tage durch deine eigene Heimat läufst, dann ist das auch anders. Du bist nicht ganz so entspannt. Das liegt vielleicht auch daran, das du nur allzu oft erkannt wirst. Der Wirt vom Schweinfurter Haus am Gangolfsberg (unserer ersten Hütte) fragt dann auch meine Wanderfreunde „…ob das der Most-Krenzer ist“. Bin ich etwa aufgefallen? Aufgefallen, weil ich direkt nach Sonnenaufgang mit meinem Duschhandtuch den Morgentau von seiner Bank vor der Hüttentüre entferne und mich mit meinem Netbook dort breit mache. Und ich habe sogar Netz! Es ist der schönste Morgen unserer Tour. Alles schläft noch. Ich bin hellwach. Wach, weil es hier mitten in der Natur einfach so geil ist. Und entspannend. Und was für ein toller Ausblick ins Streutal. Obwohl meine Füße schon wieder Blasen werfen.
Es ist kein Zufall. Denn es ist der 17. Juni. Das war früher – ganz früher für viele – mal im Westen unserer Republik ein Feiertag. Viele haben das längst vergessen. Und an diesem ehemaligen Tag der Deutschen Einheit laufen wir vom Schweinfurter Haus nach Oberelsbach und landen direkt bei einem Bierbrauer. Aber nicht irgendeinem. Es ist der Pax-Bräu. Ein echter Rhöner „Selfmade-Brauer“. Motto: Trinken für den Frieden! Kernaussage: Lasst uns Schwerter zu Zapfhähnen machen! Das sind wir mit dabei, ohne Frage. Toller Typ, klasse Bier. Und es gibt natürlich Nachschlag. Aber wir müssen weiter. Zum Neustädter Haus unweit des Kreuzbergs. Noch über 20 Klilometer.
Das Durchschnittsalter der Hüttengäste sinkt hier an diesem Abend rapide. Sagen wir mal zur „Vorhütte“ Schweinfurter Haus um 50 Jahre. Das liegt an der Studentengruppe, die heute hier zu Gast ist. Der Abend gerät leider etwas ausser Kontrolle, weil die Hüttenwirtin nebst Tochter wahnsinnig gut alkoholische Getränke verkaufen können, besonders an uns…
Am nächsten Morgen bin ich auch wieder der erste, der lange vor dem Frühstück appetitlos in der Hütte sitzt. Denn diesmal regnet es. Die geologische Studentengruppe (darunter einige wirklich süße Mädels) hört jetzt folgende Ansage der Hüttenwirtin: „2 Brötchen für jeden! Brot gibts auf Nachfrage! Kaffee läuft durch! Eier sind wachsweich!“ Na ja, ist schon hart, das Hüttenleben. Zumindest für StudentInnen. Meine Brötchen und meinen Kaffee gebe ich heute morgen gerne ab. Mit einem Augenzwinkern verabschiede ich zwei Mädels, denen es trotz dieser Härte sehr gut gefallen hat. Frauen sind eben tough!
Es geht in strömendem Regen weiter. Zur Gemündener Hütte (da ist heute Privatfeier) zum Kreuzberg. Ich glaube, es ist das erste Mal in meinem Erwachsenenleben, das ich dort oben kein Bier trinke. Von dort über die Kissinger Hütte auf den Feuerberg – Zwischenstation auf dem Weg zum Würzburger Haus. Über die Kissinger Hütte schreibe ich lieber nichts. Doch. Eines muss ich loswerden. Die junge Abiturientin, die uns bedient, hat wirklich Potenzial. Wenn sie ins richtige Team kommt. Denn wie heißt es so schön? „Der Fisch fängt am Kopf an zu stinken…“
Auf die Übernachtung im Würzburger (Karl-Straub) Haus habe ich mich wahnsinnig gefreut. Noch nie habe ich hier bisher geschlafen. Und der Sonnenuntergang ist bei diesem Regen-Sonne-Regen-Sonne-Szenarion phänomäähhhnal. Übrigens: Wir haben alle an diesen vier Tagen ausschliesslich „Wild“ gegessen. Aber nicht aus Absicht. Es hat sich so ergeben. Es gibt hier in den Schwarzen Bergen und überhaupt in der Rhön viel zu viel davon. Das Wildragout im Würzbuger Haus ist wirklich gut. Und der Hüttenwirt schiesst und metzgert selbst. Die vierköpfige Wandertruppe aus Burgsinn (die sind heute knapp 35 Kliometer gelaufen) hält es auch länger aus als wir. Ich liege im Bett – draussen ist es noch hell. Das nennt man dann wohl Hüttenruhe. Entspannung stellt sich lammsam ein…
Der nächste Tag führt uns über Römershag bei Bad Brückenau über den Volkersberg zu unserem Ziel nach Speicherz. Dort wollen wir noch die Hagebuttenweine des geschätzten Kollegen Ziegler probieren. Unser erster Stop – das Berghaus Rhlön – ist um 9.30 Uhr noch geschlossen. Und das an einem Sonntag. Wir sind definitiv zu früh losgelaufen… Auch bergab in Riedenberg haben wir kein Glück. Dort sind die Wirtshäuser nur noch sporadisch geschlossen (also immer nr dann, wenn durstige Wanderer vorbeiziehen). Ein Wandersonntag ohne kleinen Frühschoppen ? Das geht ja gar nicht!
Um 11.17 Uhr stehe ich vor dem Gasthaus Breitenbach in Römershag. Meine Freunde sind schon hineingelaufen. Ich lese mir den Speisekartenaushang durch. Berufskrankheit. Dann kommen mir zwei Damen mittleren Alters (was immer das auch heißen mag) entgegen. Folgender Kurzdialog spielt sich jetzt ab: „Wir können Ihnen hier alles empfehlen!“ Ich: „Auch das Bier?“ Die Damen: „Keine Ahnung, wir machen hier eine Fastenkur!“ Und tatsächlich, das Bier aus der nahegelegenen Mottener Brauerei wird hier ordentlich gezapft und schmeckt vorzüglich. Das war während unserer Tour nicht so häufig der Fall. Jeder Brauer kennt den Spruch: „Mit Liebe gebraut – am Zapfhahn versaut!“ Die Festtagssuppe ist ein Gedicht. Es gibt sie tatsächlich noch, die gute Rhöner Rindfleischbrühe. Sie ist noch nicht ausgestorben. Hätte ich mir doch statt der Wildbratwürste lieber noch einen zweiten Teller bestellt…
Nach Ankunft im Hagebutten-Gasthof „Zum Bieber“ in Speicherz (wird wirklich sehr oft mit Seiferts verwechselt) ist klar: Die mittlerweile fünfte Rhönflüsterer-Tour ist zu Ende. Ich habe zum Schluß nach ausführlicher Beobachtung die Marotten unseres Wanderfreundes Conny (Konrad Schwab, Geschäftsführer der Schlitzer Destillerie) in folgendes Fazit nach dem uns wohl allen bekannten amazon-Prinzip umgewandelt:
Menschen, die nach einer Wanderung alkoholfreies Weizenbier trinken, essen auch nur den Deckel vom Brötchen. Und meiden nasse Sitzgarnituren. Ausserdem machen sie sich den Senf auf die Bratwurst, bevor sie diese probiert haben und bestellen gerne Tagessuppe für alle. Na denn, auf ein Neues!