Eine (Unternehmer) Woche in Zeichen von Corona

Verfasst am 21.03.2020 von

Montag, 16. März 2020, 11.42 Uhr

Ich bin mit meiner Frau unterwegs nach Rheinhessen. Eigentlich wären wir heute auf dem Weg nach Südtirol. Dort war eine Seminar- und Vortrags-Tournee geplant. Aus bekannten Gründen abgesagt. Planung ersetzt bekanntlich den Zufall durch Irrtum 🙂 Mein Handy klingelt. Julia Müller, meine Lieblingsredakteurin von IMPULSE ist dran. Eigentlich waren wir schon für Freitag verabredet. Das Corona-Thema beschäftigt natürlich auch die Redaktion. Es geht um meinen nächsten Blogbeitrag. Frau Müller fragt mich, wie es mir denn so gehe als Hotelier und Gastronom. Ich antworte ihr, dass man Tagebuch schreiben müsste über das, was gerade passiert. Eigentlich Stundenbuch. Sie findet das ist eine gute Idee. Und ich fange an zu schreiben…

 

Ein paar Tage zurück, Mittwoch, 11. März 2020, 21.34 Uhr

Obwohl gerade noch alles (fast) so wie immer läuft, werde ich nachdenklich. Und schreibe folgenden Text in mein privates Facebook-Profil:

Wir werden alle sterben!
Aber ganz im Ernst: In diesen grauen Zeiten befindet sich unsere Spaßgesellschaft in einem echten Stresstest. Oder in einer Sinnkrise. Nein, eher nur Krise. Sinn hat das vorher nicht wirklich gemacht. 

Irgendwie kommt alles zur Ruhe. Stillstand. Stopp. Aber sowas von. Und das ist vielen unheimlich. Logisch. Wir Menschen können damit nicht mehr umgehen. Wir kommen aus dem Tritt. Der Rhythmus stimmt nicht mehr. Wir werden dem Spaß beraubt. Dürfen uns nicht mehr auf Messen vergnügen oder im Stadion abreagieren. Aus Verzweiflung kaufen wir Hamster.

Nächste Woche hätte ich eine fulminante Seminarwoche in meinem geliebten Südtirol gehabt. Gecancelt! Na und?
Ich nutze dafür die Tage für viele gute Gespräche mit der Familie und den besten Freunden. Hauptthema: Hat Corona auch positive Auswirkungen auf uns und die Gesellschaft? Ich denke hier nicht unbedingt zuerst an die Wirtschaft. Und ja, ich glaube es wird noch viel passieren.

Machen wir das Beste draus.
Alles Gute und bleibt gesund

Nun, ja, statt einer fulminanten Seminarwoche kommt jetzt eine fulminante Corona-Woche. Als hätte ich es geahnt…

 

Sonntag, 15. März 2020, 18.19 Uhr

Nach einem noch gut gebuchten Wochenende bin ich echt platt. Die Befürchtungen, dass viele Gäste noch kurzfristig stornieren, ist nicht eingetroffen. Doch ich ahne, dass es bald anders kommen wird. Auf unserer krenzers rhön – Facebookseite  platziere ich diesen Post:

Es ist ruhig geworden. In der Rhön war das ja schon immer so. Mit Ruhe, Achtsamkeit und der richtigen Portion Gelassenheit kennen wir uns aus. Das ist – im wahrsten Sinne des geschriebenen Wortes – unsere Natur. Weniger war hier schon immer määhr. Regionalität kannten wir schon, bevor es in Mode kam.
Hamster haben wir nie gekauft. Eher Meerschweinchen. Und wenn das Klopapier zu Ende ist, nehmen wir halt die Fuldaer Zeitung.  Aber nie die BILD. Die geht uns nämlich am A… vorbei. Panik? Fehlanzeige!

Wir sind hier – auch in globalen Zeiten – immer noch ein wunderbares Refugium.
Und wir hier in krenzers rhön sehen uns in diesen Zeiten als ganz besonderer Ort. Es ist so schön, wie entspannt die Menschen hier sind.  Das ist auch – und gerade jetzt – unsere Herzensaufgabe. Dafür sind wir da. Und bleiben. Egal, was da noch kommt.
Wir wünschen euch da draußen alles Gute, bleibt achtsam, aber auch gelassen. Und vor allen Dingen gesund. Ernährt euch bitte gescheit und wenn ihr Alk trinkt, dann eben richtig guten. Seit so ein bisschen rhönesisch. . Und wenn ihr nicht mehr wisst. wie das geht, ihr wisst, wo wir seit 1893 sind.

Es grüssen euch von Herzen die Krenzers und das beste Team der Welt.
P.S.: Rock’n roll!

 

Montag, 16. März 2020, 13.15 Uhr

Angekommen in der Untermühle der Familie Jordan in Köngernheim. Vor knapp zwei Jahren haben unsere Kollegen und Freunde aus dem Hochzeitshotel ein Wellness-Resort gemacht. Das wollen wir uns anschauen und mit Martina und Gerhard über die Zukunft reden. Ausgerechnet jetzt. Schwieriges Thema. Frühlingshafte Temperaturen lassen uns auf der Außenterasse  Platz nehmen. Die Stimmung im Service ist gedrückt. Und wir verdrücken erst einmal eine Flasche Gelben Orleans – eine alte Rebsorte aus Napoleons Zeiten. Die Rezeptionistin weiß, dass heute der letzte Öffnungstag ist. Ich hatte es – nach den Ankündigungen der Ministerpräsidenten – fast schon befürchtet. Was willst du auch mit Hausgästen machen, wenn dein Restaurant um 18 Uhr (in Bayern 15 Uhr) schließen muss?

 

Montag, 16. März 2020, 15.30 Uhr

Deutschland storniert sich an diesem Tag selbst. Nach den Pressekonferenzen am Mittag ist klar, dass es für die Hotellerie und Gastronomie so nicht weiter gehen wird. Daraufhin stehen (wahrscheinlich nicht nur in krenzers rhön) die Telefone nicht mehr still. Die Menschen stornieren gerade ihr Leben. Unser Sohn Max, der zu Hause den Laden gerade schmeißt, steht vor einer echten Belastungsprobe. Da muss er jetzt durch. Stresstest. Reifeprüfung. Umgang mit panischen Menschen. So was lernst du nur in der Praxis. Er hat gelernt. Und überlebt.

Im Wellnessbereich unseres Hotels geht es derweil sehr entspannt zu – es sind nicht mehr viele Gäste da. Mit einer Blogger-Kollegin komme ich kurz ins Gespräch, wir bearbeiten unterschiedliche Themen. Die Stimmung ist aber für beide gerade die gleiche. Viele ahnen wohl schon, das es auf unbestimmte Zeit der letzte Öffnungstag des Hotels ist. Die Menschen genießen diesen wunderschönen Tag. Warum auch nicht? Schließlich gehört keiner der meist jungen Leute zur Risikogruppe…

 

Dienstag, 17. März, 10.30 Uhr

Nach dem Frühstück packen wir unsere Sachen und wollen wieder nach Hause. Stopp! Meine Frau will nach Hause. Sie hat gerade Hummeln im Arsch und will sich einen Überblick verschaffen zum Thema Storno.

An der Rezeption checkt zeitgleich ein Mensch aus, der in Wiesbaden an der Hochschule für das Thema Mobilität in Zeiten der Digitalisierung zuständig ist. Jetzt dauert die Diskussion etwas länger. Weil jetzt schon die Autobahnen beachtlich leerer sind, stelle ich die Frage: „Warum muss halb Deutschland um 8 Uhr am Arbeitsplatz sein, nur um Kaffee zu trinken und Mails abzuholen?“ Darauf hat der skurrile  Typ auch noch eine Antwort. Die liegt in unserer DNA. O.k., dann habe ich die Falsche. Aber ganz im Ernst: Kaffee trinken und Mails abholen und telefonieren kann man auch @home. Und wir benötigen keinen weiteren Autobahnausbau. Aber das ist ja alles nicht gewollt. Die Konjunktur muss flutschen. Was sie gerade im Moment nicht mehr tut…

 

Die Heimfahrt über leere Autobahnen ist entspannt und wir reden kaum. Jeder geht seinen Gedanken nach. Vor einiger Zeit habe ich mal öffentlich einen wirren Gedanken zur Zukunft in unseres überhitzten Wirtschaftssystems geäußert. Ich stellte Freunden ein ganz einfaches Szenario vor. Es wird in der ganzen Republik einen Tag lang – als exakt 24 Stunden – nichts gekauft. Nichts getankt. Nicht übernachtet. Nichts. Gar nichts! Damals sagte ich, dass wir ab Stunde 12 schon eine Krisensituation haben werden. Ach, was haben die alle gelacht. Aber vielleicht lag es auch an den dazu gereichten Kaltgetränken… 

 

Dienstag, 17. März, 15.54 Uhr

Ich sitze auf meiner Obstwiese vor dem gelben Schäferwagen, habe einen Krug bestes selbstgebrautes Bier in der Hand und schaue in die Sonne. Trotz des schönen Wetters ist gerade eine nicht gekannte Leere in mir. Denn gerade habe ich mit meinem Führungsteam eine wichtige Entscheidung getroffen. Wir werden krenzers rhön komplett schließen. Lange habe ich gekämpft, noch auf zu lassen. Aber es macht keinen Sinn. Touristische Übernachtungen sind verboten, Geschäftliche Nächtigungen lagen schon vor Corona bei ca. 1%. Und wenn die Wirtsstube um 18 Uhr schließen muss, brauchen wir erst gar nicht anfangen zu kochen. Viele Kollegen setzen auf Außer-Haus-Verkauf ihrer Speisen. Ich halte das für eine Verzweiflungstat. Frei nach dem Motto: „Als sie das Ziel aus den Augen verloren hatten, verdoppelten sie ihre Anstrengungen!“

Da läuft zwar Umsatz, aber kaum Gewinn. Zumal viele jetzt auch noch 20% Corona-Rabatt geben. Und Getränke darf ich auch nicht offensiv verkaufen. Damit wäre was verdient. Ich fasse es nicht. Meine Branche war vor Corona schon angeschlagen. Nur hat das in diesem Konjunkturhoch keiner bemerkt. Und wie der Virus die Risikogruppen darnieder streckt, machen es die Folgen der Krise mit vielen angeschlagenen Kollegen jetzt ebenso. Zum Beispiel die Restaurantketten Vapiano.  Und demnächst Maredo. Ich will nicht so weit ausholen, aber die Gründe liegen auf der Hand (nicht bei den Genannten, sondern bei vielen Kollegen meiner Kampf- und Gewichtsklasse):

Kein Mut zum Preis. Daher auch kaum seriöse Kalkulationen (wenn überhaupt). Und immer schön brav machen, was die Gäste verlangen. Null Profil, null Polarisierung, null Anziehung auf attraktive Mitarbeiter und irgendwann null Bock und natürlich null Rendite. Enorme Investitionsstaus, wenn nicht dann hohe Kreditverbindlichkeiten. Und keinerlei Reserven in der Kriegskasse. Dafür den neusten SUV auf dem Hof.  Es wird schon nichts passieren. „Gegessen und getrunken wird immer. Und gereist auch.“ So haben wir das gelernt. Yepp. Und jetzt sind wir so richtig in der Scheiße… 

Ab heute, Punkt 18 Uhr ziehen wir die Reißleine. Für diese Zeit habe ich auch mein komplettes Team einbestellt. Denn meine Leute sind verunsichert, brauchen jetzt eine Ansprache und eine Entscheidung. Und den positiven Blick in die Zukunft. Ich habe jetzt noch zwei Stunden und vielleicht noch ein Bier, um mich auf diesen harten Moment vorzubereiten.

 

Dienstag, 17. März, Punkt 18 Uhr

Als ich pünktlich die Wirtsstube betrete, sind schon alle Mitarbeiter da. Kein Gewusel wie sonst bei unseren Treffen. Alles anders.  Jeder sitzt ruhig auf seinem Platz und wartet auf den Chef. Das machen die sonst nie. Als könnte der Cheffe jetzt die Welt retten. Nein, kann ich nicht. Aber vielleicht unsere kleine, besondere Welt hier in krenzers rhön.

Ich verkünde unsere Entscheidung und bitte mein Team, dem künftigen Status der Kurzarbeit zuzustimmen. Einige haben wohl schon mit der Kündigung gerechnet, da sie noch in der Probezeit sind bzw. einen befristeten Arbeitsvertrag haben. Doch das wird nicht passieren. Wir haben hier ein fantastisches Team. Gerade in diesem Augenblick zeigt sich das. Ich weiß, dass es weitergeht. Den Zeitpunkt kann ich noch nicht benennen. Auch die befristeten Verträge werden weitergeführt. Das verspreche ich meinen Leuten.

Und irgendwie wollen einige nach der Besprechung nicht nach Hause gehen. Es ist alles so unwirklich. So brutal. Ich kann es nicht wirklich ausdrücken. Ich habe hier über 4 Jahre an und mit diesem Team intensivst gearbeitet. Das waren nicht immer leichte Zeiten. Oft habe ich gesagt, dass wir so nicht weitermachen können. Das wir unser Mindset für eine bessere Zukunft ändern müssen.  Und jetzt, genau jetzt haben wir das beste Ensemble aller Zeiten beisammen. Genau die Menschen, mit denen ich erfolgreich in die Zukunft starten will.  Und dieses Spitzenteammuss ich jetzt nach Hause schicken. Ich müsste eigentlich heulen. Was ich später auch tue…

 

Mittwoch, 18. März, 9.15 Uhr

Ich bin zum letzten Mal unterwegs. Habe noch einen Termin in der Fränkischen Schweiz. Besuche auf dem Weg noch zwei Kollegen. Hier macht sich schon die erste Depression breit. Auch wenn die Wirtshäuser in Bayern noch bis 15 Uhr geöffnet sein dürfen, Spaß macht das hier niemandem mehr. Alles nur eine Frage von Stunden, wann auch hier endlich Schluss ist. Take-away hin oder her. Ein Bierbrauer erzählt mir, dass der Fassbiermarkt gegen Null läuft. Klar, wenn keine Kneipe mehr auf hat. Und mit Fassbier wird Geld verdient, Flaschenbier ist für viele – vor allen kleinere Brauereien – nicht rentabel. Hatte ich so noch nicht auf dem Schirm.

Und es wird ein gespannt-entspannter Tag in Forchheim. Und er endet mit einigen guten Flaschenbieren im Stadtpark. Das Hotel, in dem ich übernachte, ist leer. Und mein Lieblingscafe am nächsten Morgen auch. Der Inhaber erkennt mich und wir plaudern ein wenig. Auch er sagt, dass das alles hier keinen Sinn macht.

 

Donnerstag, 19. März, 11 Uhr

In „meiner“ Brauerei in Memmelsdorf, wo ich das KRENZER 40-Bier braue hole ich 900 Liter bestes Pilsbier ab. Wann ich es verkaufen werde, steht in den Sternen. Aber gebraut ist gebraut. Und das Bier jetzt fertig. Eigentlich sollte zu unserem 127. Geburtstag in zwei Tagen der Zapfhahn glühen. Eigentlich…

Auch hier ist die Stimmung gedrückt, aber positiv. Wenn Du selbstständig bist, und deine kleinen Kinder jetzt nicht in Kita und Schule sind, ist das auch eine Herausforderung. Die Tagesabläufe geraden außer Kontrolle. Soll heißen, wir müssen uns alle neu organisieren.

Neu organisiert haben sich aber scheinbar die nicht, die eigentlich jetzt voranpreschen sollten. Die Banken. Ein Kollege erzählt, dass er zur Überbrückung seines Betriebes 500.000 Euro benötigt. Und mit seiner Hausbank über die jetzt laut Bundesregierung verfügbaren KfW-Mittel verhandelt. Der Sachbearbeiter weiß aber nichts davon und will noch nicht einmal einen „normalen“ Kredit geben. Argument: „Sie haben doch noch geöffnet. Dann machen sie doch auch Umsatz!“ Mir war ja schon immer klar, das die meisten Menschen, die bei einer Bank arbeiten, vom Unternehmerleben recht wenig verstehen. Ihr Verhalten in Krisenzeiten ist der Lerngeschichte geschuldet. Der Staat wird es schon richten. Tatsächlich erzählt ein anderer Kollege von einem Termin von Landkreis, Stadt, IHK und Banken in Bamberg. Der Chef der Sparkasse eröffnet die Runde mit dem Satz: „Wir wissen nicht, ob es uns nach dieser Krise noch geben wird!“ Ich will jetzt wirklich nicht alle Banker auf einen Komposthaufen werfen, aber nachdenklich macht mich das schon. Ein wenig. Aber meine Erwartungen waren diesbezüglich auch nicht besonders hoch.

Und genau deswegen sind wir hier in krenzers rhön seit Ende letzten Jahres unabhängig. Wir haben alle Bankkredite getilgt. Ein gutes Gefühl. Doch der Schein trügt. Denn meine Frau erfährt zeitgleich auf einer Online-Konferenz von IMPULSE, dass die Banken eher neue Kredite an Kunden mit hohen Verbindlichkeiten gewähren. Einer wie ich gilt – egal ob der Laden solide oder nicht geführt wird – als neues Risiko. Soll heißen: Frisches Geld bekommen eher die, die ihre alten Schulden kaum bedienen können. Bankenlogik. Ich habe es verstanden. Mein alter Lehrmeister und Mentor Josef Schmidt sagte immer: „Ein Banker hält dir einen Regenschirm hin, wenn die Sonne scheint. Wenn es regnet, zieht er ihn ein.“

     

Freitag, 20. März 2020, 22.34 Uhr

Ich bin den ganzen Tag mit Warenlogistik beschäftigt. Kühlprotokolle müssen erstellt werden und Hygienelisten werden ausgefüllt. Obwohl nicht mehr gekocht wird. Bürokratie muss auch in Corona-Zeiten sein.

Am Abend sitze ich wieder in meiner Schreibküche. In anderthalb Stunden haben wir Geburtstag. Ich poste auf unsere krenzers rhön – Seite diesen Text:

  1. März 1893. Mein Urgroßvater Josef Herrlich kauft für 6500 Reichsmark das, was meine Familie und ich heute  zu krenzers rhön gemacht haben. Und jeden Tag mit unserem Team lieben und leben. 127 ereignisreiche Jahre. Kaiser Wilhelm. 1. Weltkrieg.  Naziherrschaft. 2. Weltkrieg.  Sattfresserjahre.  Weltwirtschaftskrisen. All das durften die Krenzers hier schon erleben. Rein zufällig bin ich auch Widder (nein, ich glaube nicht an Zufälle) und der März ist hier in krenzers rhön schon immer ein besonderer Monat. Und jetzt auch noch ein bewegender. Historischer. Fundamentaler.

    Anfang der Woche haben wir gemeinsam mit unserem fantastischen Team beschlossen, den Betrieb vorerst einzustellen. Wer mich kennt, weiß, wie schwer mir das fällt. Bin ich doch dafür bekannt, bei Regenwetter die Gartenwirtschaft zu öffnen.  Und immer gegen den Strom zu schwimmen. Es macht aber keinen Sinn. Meine Leute haben recht. Es ist kein Regen. Kein Strom. Das, was jetzt ist und was noch kommt ist eine ganz andere Hausnummer. Wer glaubt, das in zwei Wochen alles vorüber ist, der hat einen kompletten Realitätsverlust erlitten Aber das hatten viele schon vor dieser Krise.

    Meine geliebten Mitarbeiter gehen in Kurzarbeit. Ich verzichte auf meinen  Unternehmerlohn. Obwohl ich jeden Tag hart im und vor allen Dingen AM Unternehmen arbeite. Und NEIN! Hier gibt es kein Mimimi und Gejammer. Der Blick ist nach vorne gerichtet. Die Welt wird sich neu erfinden müssen. Wir in krenzers rhön sowieso. Die alten Strukturen sind weggebrochen. Neue noch nicht da. Da ist viel Raum. Seeehr viel Raum. Für was?  Für Neues! Für sehr viel Neues!
    Ich wünsche Euch allen da draußen und hoffentlich @home starke Gedanken. Viel Liebe. Guten Sex. Gesundheit. Zukunft ist das, was wir daraus machen.
    Rock’n roll! – Euer Jürgen

 

Samstag, 21. März 2020, 7.54 Uhr

Ich weiß manchmal echt nicht mehr, was für ein Wochentag heute ist. Das ist wie im Urlaub, wenn du total entspannt bist. Und alle Systeme runtergefahren hast. Aber es ist kein Urlaub, verdammt noch mal! Für mich gibt es im Moment nur noch eines: Die Zukunft. Bin total fokussiert. Das ist genau meine Zeit. Krise ist so ein wahnsinnig produktiver Zustand. Er wird nur für jene zur Katastrophe, die jetzt nicht die Ruhe bewahren. Ich habe gerade eine stoische Ruhe. Bin manchmal selbst überrascht.

Noch im letzten Jahr wurde ich im Freundeskreis oft angezählt. Weil ich so total negativ bin. Ja, mag sein. Ich habe mich sehr oft mit unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung beschäftigt. Immer höher, schneller, weiter. Verbunden mit immer mehr Ansprüchen und einer Bewerteritis, die schon pervers ist. Weil sie selbst vor Bushaltestellen nicht halt macht. Und dann noch diese typisch deutsche Mentalität a‘ la: „Ich habe doch dafür bezahlt!“ Die IMPULSE-Fangemeinde kennt meine Blogartikel dazu. Ich habe diese „negativen“ Zeiten gebraucht, um wieder zur eigenen Stärke zurück zu finden. Im November letzten Jahres beginne ich, mein Mindset zu ändern. Es gelingt mir. Ich verbessere auch meinen Fitnesszustand. Ende Februar bin ich wieder zurück. So, wie ich mich haben will. Ja, und jetzt? Haben wir erstmal Krise.

Das ist schon krass. Unseren Betrieb gibt es jetzt 127 Jahre. Und meine Frau und ich haben jetzt, im März/April/Mai 2020 die sehr anspruchsvolle Aufgabe, ihn durch ganz, ganz schwierige, ja zerstörerische Zeiten zu geleiten. Ich glaube, wir sind ein gutes Führungsduo. Ein sehr gutes sogar. Weil wir so unterschiedlich sind. Und auch unterschiedliche Aufgaben haben. Erst vor einer Woche haben wir diese Aufgaben und unsere Prioritäten nochmals definiert. Zufall? Mitnichten. Meine Frau und ihr Führungsteam machen hier einen verdammt guten Job. Und ich glaubte, mich hier ausklinken zu können. Zeit für was Neues.

O.k., das Neue ist jetzt da! Aber sowas von. Und ich bleibe an Bord. Schlechte Zeiten sind gute Zeiten für gute Unternehmer. Und in diesen Zeiten ist es auch ganz wichtig, sich wieder einmal klar zu machen, um was es überhaupt geht. Nämlich unser Leben. Und um nichts anderes!

Gerade plobbt wieder eines meiner Lieblingszitate des Genfer Schriftstellers Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) bei mir auf dem Bildschirm auf:

 

Liebe deine Feinde –
dann drehen sie durch

Zwei Dinge sind Zeichen von Schwäche:
Schweigen, wenn man reden müsste,
…und sprechen, wenn man schweigen sollte.

Ziel des Lebens ist es,
Menschen zum Erblühen zu bringen.
Heute scheint man mehr damit beschäftigt,
Sachen zu perfektionieren.

Nicht der Mensch hat am meisten gelebt,
welcher die höchsten Jahre zählt,
sondern derjenige, welcher sein Leben
am meisten empfunden hat.

Man kann es – für die heutige Zeit – auch in einem Satz zusammenfassen:

„Die Kunst zu Leben besteht darin, zu lernen, im Regen zu tanzen, anstatt auf die Sonne zu warten.“ 

 

Ende des Tagebuchs.

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